„Alkohol ist der Sanitäter in der Not“ singt Herbert Grönemeyer in seinem Song „Alkohol“.
Die schnelle entspannende und betäubende Wirkung von Alkohol ist verlockend. Selbst Leinwand-Helden brauchen ständig „erst einmal einen Drink.“ Es klingt, als wäre es eine Art Selbstverständlichkeit, der einzig logische Schluss oder eine verbindliche Regel: Dir geht es sehr schlecht, also wählst Du die Alk-112 und Du bist in besten Händen.
Längst gesellschaftlich sowie kulturell verankert und ritualisiert ist Alkohol schließlich immer überall verfügbar und akzeptiert.
Auch ich war ein in den Ritualen verhafteter Feierabend-Bier Mensch und auf alles mögliche anstoßende Zuproster. Wenn die Arbeit mal stressig war, der Beziehungssegen schief hing habe ich mich auch den Werbeversprechen folgend mit Bier oder Wein erst einmal runter kommen lassen, Abstand genommen und alles easy wirken lassen. Natürlich verantwortungsvoll im „gesellschaftlich akzeptierten“ Rahmen versteht sich. Das hat auch geholfen – für den Moment. Dass sich die Herausforderungen des Berufs- und Beziehungslebens nicht wegtrinken oder hinunterschlucken lassen, hätte mir klar sein müssen. Spätestens als der Job mich überlastet hat und zeitgleich meine Beziehung mich vor große Herausforderungen gestellt hat, hätte ich das eigentlich bemerken müssen. Habe ich aber nicht. Im Gegenteil, ich habe die Dosis erhöht.
Was mir damals nicht bewusst war, ist dass ich schon viel zu lange eingefahren in meinem Verhalten war. Ich war auf Erleichterung, Verdrängung und Schmerzstillung konditioniert, lange bevor mein Job und meine Beziehung eine massive Herausforderung darstellten. Ich habe lange vieles Ausgeblendet, auch Melancholie und leichte depressive Episoden.
Heute ist mir klar, dass meine Sucht damals von mir unbemerkt schon länger etabliert war und endlich einen Grund und eine Rechtfertigung gefunden hat, mehr, schneller und härter zu trinken. Der innere Schweinehund hat nur darauf gewartet. Beim Griff ins Hochprozent-Regal habe ich mich im Recht gefühlt. Ich hatte mir das verdient, dachte ich. „Der Job macht mich fertig und Liebe ist nichts, was für mich bestimmt ist.“ Das waren meine vorherrschenden Gedanken. Je mehr ich jedoch trank um so trauriger, leerer und verzweifelter wurde ich. Vor 5 Jahren zeigten sich dann die Folgen erst in Form einer einer Anpassungsstörung und kurze Zeit später in einer depressiven Belastungsstörung und Burnout.
Lange habe ich gerätselt, warum ich nach der erfolgreichen knapp 2-jährigen Entwöhnungstherapie noch so viel Traurigkeit und Lebensmüdigkeit in mir gespürt habe. Dass ich schon viele Jahre lang depressiv veranlagt war und mit dem Alkohol erste Symptome übertüncht und später dann zum ernsten Ausbruch verholfen habe, ist mir erst viel später bewusst geworden. Und es ist etwas, mit dem ich heute noch tagtäglich lerne umzugehen.
Alkohol hat mich in eine Depression geführt, die ich ohne Alkohol in der heutigen Ausprägung sehr wahrscheinlich nicht gehabt hätte.
„Das was Du mit der Sucht an guten Dingen glaubst zu verspüren, bezahlst Du mit Zeit, Gesundheit und gutem Lebensgefühl. Und die Sucht ist der beste und gnadenloseste Schuldeneintreiber den es gibt.“
Mr. Brain 3,5 Jahre ohne Alkohol.