Sucht ist eine Krankheit, keine Charakterschwäche. Dennoch haben viele Betroffene Angst, sich mit ihrem Problem auseinanderzusetzen, weil sie sich vor gesellschaftlicher Verurteilung und Stigmatisierung fürchten. Diese Angst führt oft dazu, dass Menschen in ihrer Sucht verharren, sich isolieren und sich keine Hilfe holen. Doch genau das Gegenteil ist notwendig: Offenheit, Mut und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen. Warum das so wichtig ist und wie wir Betroffenen dabei helfen können, diesen Schritt zu gehen, soll dieser Beitrag zeigen.
Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Suchterkrankungen ist oft von Vorurteilen geprägt. Wer einmal als „Süchtiger“ abgestempelt wurde, hat es schwer, dieses Bild loszuwerden. Viele Menschen glauben, dass Sucht nur eine Frage von Disziplin und Willenskraft sei und Betroffene einfach nur aufhören müssten. Dabei wird ignoriert, dass Sucht tief in der Psyche und der Biochemie des Gehirns verankert ist. Diese Stigmatisierung führt dazu, dass viele Betroffene sich schämen und sich nicht trauen, über ihre Probleme zu sprechen.
Der wichtigste Schritt aus der Sucht heraus ist die ehrliche Selbstreflexion: Habe ich ein Problem? Ist mein Konsum noch kontrollierbar, oder bestimmt er bereits mein Leben? Diese Fragen ehrlich zu beantworten, erfordert Mut. Doch dieser Mut wird belohnt. Denn erst wenn sich Betroffene selbst eingestehen, dass sie ein Problem haben, können sie sich auf den Weg machen, es zu lösen.
Offenheit bedeutet nicht, dass man jedem ungefragt seine Geschichte erzählen muss. Aber es bedeutet, sich Menschen anzuvertrauen, die helfen können: Familie, enge Freunde, Selbsthilfegruppen oder professionelle Therapeuten. Offenheit kann auch bedeuten, sich gegenüber sich selbst einzugestehen, dass man Hilfe braucht – und dass das keine Schwäche ist, sondern eine der stärksten Entscheidungen, die man treffen kann.
Vorbild sein: Wer offen mit seiner eigenen Suchterfahrung umgeht, zeigt anderen, dass es möglich ist, sich zu ändern und ein erfülltes Leben in Abstinenz zu führen. Dazu erzählen wir unsere Geschichte und zeigen auf, warum wir glauben, dass sich der von uns eingeschlagene Weg lohnt.
Scham abbauen: Sucht ist eine Krankheit, keine moralische Verfehlung. Das müssen wir immer wieder betonen, um die Schamspirale zu durchbrechen. Wir begegnen Scham mit Stolz.
Wissen vermitteln: Wer versteht, dass Sucht „nur“ eine Erkrankung ist, kann sich selbst und andere besser akzeptieren. Aufklärung ist der Schlüssel zur Entstigmatisierung. Wir verstehen uns als Beweis dafür, wie weit daneben Vorurteile liegen können.
Ehrliche Gespräche führen: Niemand sollte sich allein fühlen. Einfache Gespräche können Leben retten, weil sie Betroffenen zeigen, dass sie nicht verurteilt, sondern unterstützt werden. Wir sind für jedes Gespräch offen und können mit unseren selbst durchlebten Erfahrungen auf Augenhöhe begegnen. Auch für einige von uns, waren offene und respektvolle Gespräche lebensrettend.
Netzwerke schaffen: Selbsthilfegruppen, Foren und Online-Communities können geschützte Räume bieten, in denen Betroffene sich austauschen und gegenseitig bestärken können.
Politische und gesellschaftliche Veränderung fordern: Solange Suchtkranke gesellschaftlich ausgeschlossen werden, bleibt die Angst vor dem Outing bestehen. Wir müssen uns für eine Gesellschaft einsetzen, die Betroffene unterstützt anstatt sie zu verurteilen. Das tun wir mit Überzeugung und Herzblut mit Initiativen, Veranstaltungen, Beteiligung am öffentlichen Diskurs und gestaltende Beteiligung an einer neunen, zeitgemäßen Denkhaltung in Deutschland. Portugal, Frankreich, England und die Schweiz sind in Europa um viele Jahre voraus.
Fazit: Es braucht noch immer viel Mut, sich seiner Sucht zu stellen, doch dieser Mut kann Leben verändern – und retten. Die Angst vor Verurteilung darf niemanden daran hindern, Hilfe zu suchen. Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, offen über Sucht zu sprechen, sie als Krankheit anzuerkennen und Betroffene dabei zu unterstützen, den Weg aus der Abhängigkeit zu finden – auch in Deutschland. Wer diesen Mut aufbringt, wird nicht nur für sich selbst einen neuen Weg beschreiten, sondern auch anderen helfen, sich ebenfalls zu trauen.