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Die Vorstellung, Alkohol- oder Suchterkrankte als „Helden“ zu bezeichnen, ist in einigen Kreisen durchaus verbreitet, besonders in der Selbsthilfe- und Genesungsbewegung. Während das Wort „Held“ oft in einem überhöhten Sinn verwendet wird, sehen viele Menschen den Mut, die Entschlossenheit und die Ausdauer von Menschen, die ihre Sucht überwunden haben, als heldenhaft an. In verschiedenen Berichten, Büchern und Reden wird dieser Vergleich gemacht, um die enorme Herausforderung und den Sieg über eine Suchterkrankung zu würdigen.
Diese Anerkennung basiert auf dem enormen persönlichen Einsatz, der Ausdauer und dem Mut, den es erfordert, sich der Sucht zu stellen, Rückfälle zu bewältigen und ein neues Leben aufzubauen.
Der größte Mut zeigt sich darin, dass Menschen, die mit einer Sucht kämpfen, den Willen aufbringen, sich nicht nur ihrer eigenen inneren Kämpfe zu stellen, sondern auch der Stigmatisierung und den Mythen, die sie von der Gesellschaft auferlegt bekommen. Das Heldentum von Suchtkranken liegt nicht nur in ihrer persönlichen Heilung, sondern in ihrer Fähigkeit, sich trotz der Urteile der Gesellschaft für ein neues Leben zu entscheiden – und damit oft auch anderen zu helfen, denselben Weg zu gehen.
Selbsthilfegruppen und Programme wie die Anonymen Alkoholiker (AA)**
Die Literatur und Philosophie der Anonymen Alkoholiker (AA) bezeichnet zwar nicht ausdrücklich Genesende als Helden, aber in vielen Erzählungen und Reden wird oft auf die Tapferkeit und Stärke verwiesen, die nötig sind, um eine Suchterkrankung zu überwinden. Der Weg durch die Zwölf-Schritte-Programme erfordert persönliche Ehrlichkeit, Selbstreflexion und oft das Eingestehen von Fehlern – was als „heldenhafter“ Akt der Selbstüberwindung gesehen werden kann.
AA-Slogan: „Ich bin heute ein Held, weil ich zugebe, dass ich nicht perfekt bin und trotzdem den Mut habe, weiterzumachen.“
Zitat von Bill W., dem Mitbegründer der AA:
„Unsere größte Ehre besteht nicht darin, niemals zu fallen, sondern jedes Mal, wenn wir fallen, wieder aufzustehen.“
Auch wenn hier das Wort „Held“ nicht wörtlich fällt, deutet es auf die Stärke hin, die in der Genesung liegt.
In vielen Memoiren von ehemals Abhängigen wird das Konzept, die Sucht zu besiegen, als heldenhafter Akt dargestellt. Der Vergleich mit einem Helden wird oft gezogen, um den inneren Kampf, den die Betroffenen durchlaufen, zu veranschaulichen.
– Memoiren wie „Dry“ von Augusten Burroughs:
Burroughs beschreibt seine Reise durch die Genesung von Alkoholismus und wie sie zu einem tiefgreifenden Kampf gegen innere Dämonen wurde. Diese Reise wird in der Literatur oft als „hero’s journey“ (Heldenreise) beschrieben, weil die Betroffenen immense Hindernisse überwinden müssen.
– Carrie Fisher (Schauspielerin und Autorin, auch bekannt als Prinzessin Leia) in ihrem Buch „Wishful Drinking“ schreibt über ihren Kampf mit Sucht. Sie betrachtet das Überwinden der Sucht als einen heldenhaften Akt des Durchhaltens: „Du musst nicht in einem Science-Fiction-Film sein, um ein Held zu sein. Manchmal reicht es, am Morgen aufzuwachen, und das ist Heldentum genug.“
Forschungen über Resilienz im Bereich der Suchterkrankungen loben oft die Überlebensfähigkeiten und die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen, die ihre Sucht überwinden. Studien über Resilienz in der Suchtrehabilitation heben oft hervor, wie Menschen nach der Genesung zu Inspirationen und Vorbildern werden, insbesondere in ihren sozialen Kreisen oder in der Selbsthilfe.
Prof. Dr. Georg Schomerus, Professor für Psychiatrie und Direktor de Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig – AöR schreibt 2022 in seinem
Artikel der idw Nachrichten „Menschen, die eine Suchterkrankung überwunden haben, sind Helden“ über die Stigmatisierung von Suchtkranken in Deutschland und dass dieser entschlossen entgegengewirkt werden muss. . Deshalb haben Forschende der Medizinischen Fakultät zusammen mit dem Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover sowie dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit einen Medienleitfaden erarbeitet, um Vorurteile zu reduzieren. Wie dieser zu einer sachlichen sowie diskriminierungsfreien Berichterstattung beitragen soll, erklärt Projektleiter Georg Schomerus, Professor für Psychiatrie der Universität Leipzig, anlässlich der Woche der Seelischen Gesundheit im Oktober 2022.
Dr. Gabor Maté, ein renommierter Arzt und Autor im Bereich Suchtforschung, hebt hervor, wie Menschen, die ihre Sucht besiegen, oft als Vorbilder fungieren:
„Das Überwinden der Sucht ist ein Akt der tiefen menschlichen Resilienz. Es zeigt den menschlichen Willen, selbst unter widrigsten Umständen zu überleben und sich zu entwickeln.“
In den Medien werden Menschen, die ihre Sucht überwunden haben und darüber sprechen, oft als Helden bezeichnet. Beispielsweise, wenn Prominente ihre Genesung öffentlich machen und als Inspiration für andere dienen. Das mediale Narrativ, das solche Menschen als „Helden des Alltags“ darstellt, ist in zahlreichen Artikeln und Berichten verbreitet.
Robert Downey Jr. (Schauspieler), der nach vielen Jahren der Sucht und wiederholten Rückfällen seine Karriere wieder aufbaute, wird oft als Vorbild und Held dargestellt. Medien betonen den **heroischen Charakter seines „Comebacks“**:
Er ist ein Held, weil er den Mut hatte, wieder aufzustehen und sein Leben neu zu gestalten.“
Demi Lovato, eine Sängerin, die offen über ihre Sucht und Genesung gesprochen hat, wurde in vielen Berichten, als **Heldin** gefeiert, weil sie offen über ihre Kämpfe sprach und so das Bewusstsein für psychische Gesundheit und Sucht stärkte.
Elton John: Der berühmte Musiker kämpfte lange mit einer Alkohol- und Kokainsucht, bevor er den Weg in die Genesung fand. Er nutzt heute seinen Einfluss, um über seine Reise zu sprechen und andere zu ermutigen, sich Hilfe zu suchen. In verschiedenen Interviews bezeichnete er seine Genesung als einen „heroischen Kampf“. Er sagte einmal:
„Mein größter Erfolg ist nicht meine Musik, sondern die Tatsache, dass ich es geschafft habe, clean zu werden und zu bleiben.“
Jamie Lee Curtis: Die Schauspielerin kämpfte mit einer Abhängigkeit von Schmerzmitteln und Alkohol. Heute wird sie oft als Vorbild für andere angesehen, die in ähnlichen Situationen sind. Sie beschreibt ihre Heilung als „den heldenhaftesten Akt“ ihres Lebens und spricht offen über die Kraft, die nötig ist, um clean zu werden und zu bleiben.
In der Suchtforschung und der Unterstützung von ehemaligen Abhängigen taucht oft das Konzept der „stillen Helden“ auf. Menschen, die im Alltag ihre Sucht bewältigen, ohne großes Aufsehen, werden als „stille Helden“ bezeichnet. Sie durchleben einen täglichen Kampf, der für viele unsichtbar ist, aber enorme mentale und emotionale Stärke erfordert.
In einem Bericht der **Harvard Health Publishing** wurde einmal hervorgehoben: Genesene Suchtkranke sind stille Helden, die sich täglich entscheiden, stark zu bleiben und die Kraft aufbringen, ein Leben ohne Drogen oder Alkohol zu führen. Dieser unsichtbare Kampf verdient Anerkennung.“
Frauen, die ihre Sucht überwinden und oft gleichzeitig Familien ernähren, werden in vielen Berichten und Dokumentationen als „Heldinnen des Alltags“ beschrieben.
– In einem Artikel der BBC über Frauen, die ihre Sucht besiegen, wurde eine Frau namens Sarah porträtiert, die jahrelang mit Alkoholabhängigkeit kämpfte und nach der Genesung eine Selbsthilfegruppe gründete. Sie wird von ihren Mitstreitern als „Heldin“ angesehen, weil sie andere inspiriert hat, ihre eigenen Probleme zu bewältigen.
Dr. Nora Volkow, Direktorin des US National Institute on Drug Abuse (NIDA), hebt in ihren Studien immer wieder hervor, wie Frauen oft mit noch komplexeren Herausforderungen wie familiären Verpflichtungen oder der Erziehung von Kindern konfrontiert sind, während sie gleichzeitig versuchen, ihre Sucht zu überwinden. Diese Herausforderungen machen sie in den Augen vieler als Heldinnen des Alltags sichtbar.
In vielen Selbsthilfe- und Rehabilitationszentren wird der Begriff „Recovery Champion“ verwendet, um Menschen zu bezeichnen, die nach ihrer Genesung anderen helfen. Diese Champions gelten als Leuchttürme der Hoffnung für Menschen, die noch in ihrer Sucht gefangen sind.
• In einer Studie der University of Manchester wurde darauf hingewiesen, dass ehemalige Suchtkranke, die zu Beratern oder Unterstützern anderer wurden, als „Recovery Heroes“ bezeichnet werden. Diese Menschen werden nicht nur wegen ihrer eigenen Genesung als Vorbilder angesehen, sondern auch, weil sie der Gemeinschaft etwas zurückgeben und anderen durch den Genesungsprozess helfen.
In der Populärkultur gibt es zahlreiche Filme und Bücher, die Suchtkranke auf ihre heldenhafte Reise der Genesung fokussieren. Hier werden oft die inneren Kämpfe, die emotionale Stärke und der Weg zur Heilung als Heldengeschichten dargestellt.
• Der Film „28 Days“ (2000), mit Sandra Bullock in der Hauptrolle, zeigt den Weg einer Frau, die nach einer schweren Alkoholsucht in die Reha geht. Während sie ihre Abhängigkeit bekämpft, wird ihre Geschichte als eine „Heldengeschichte des inneren Kampfes“ dargestellt.
„Leaving Las Vegas“ (1995) mit Nicolas Cage zeigt eine düstere Seite der Sucht, aber auch die menschliche Tragik und den heroischen Versuch, der Abhängigkeit zu entkommen.
Der Gedanke der „Heldenreise“, basierend auf Joseph Campbells Konzept der Monomythos, wird oft als Metapher für den Prozess der Suchtüberwindung genutzt. Die Reise eines Suchtkranken durch Tiefen der Verzweiflung, das Erreichen eines Wendepunkts und die Rückkehr ins Leben kann als klassischer Heldensprung interpretiert werden.
In therapeutischen Ansätzen wie der Narrativen Therapie wird oft darauf hingewiesen, dass Suchtkranke ihre eigene Geschichte neu schreiben müssen. Sie werden ermutigt, ihre Rolle vom Opfer zum Helden zu ändern.
Der Therapeut Michael White, der als einer der Begründer der narrativen Therapie gilt, sagte dazu: „Wir alle können Helden unserer eigenen Geschichte werden, besonders wenn wir unsere Erzählung neu gestalten.“
• „The Hero’s Journey of Recovery“: In vielen Suchtberatungsprogrammen wird die Metapher der „Heldenreise“ aktiv verwendet, um Suchtkranken zu zeigen, dass sie in ihrem Leben einen Wendepunkt erreichen und zu „Helden“ ihrer eigenen Erzählung werden können.
• Es gibt zahlreiche Artikel und Studien, die betonen, dass Menschen, die ihre Sucht überwunden haben, als Vorbilder und „stille Helden“ der Gesellschaft gelten. Hier wird oft die Fähigkeit hervorgehoben, dass Genesene sich nicht nur selbst geheilt haben, sondern auch das Potenzial haben, anderen zu helfen.
• In einem Artikel des Journal of Substance Abuse Treatment wurde untersucht, wie Erfahrungsexperten (Personen mit eigener Suchterfahrung, die zu Beratern werden) in Rehabilitationsprogrammen als Helden angesehen werden, weil sie glaubwürdige Vorbilder für andere darstellen.
• Dr. William White, ein führender Suchtforscher, verwendet den Begriff „Recovery Heroism“, um die Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit von Menschen zu beschreiben, die sich von Abhängigkeit befreien. In seinen Publikationen hebt er hervor, dass die Heilung von einer Sucht oft ein heroischer Akt des Willens und der Selbstbehauptung ist.
Die Bezeichnung von Suchtkranken als Helden oder Vorbilder könnte auch einen kulturellen Wandel darstellen. Früher wurden Menschen mit Suchtproblemen oft stark stigmatisiert und verurteilt. In den letzten Jahrzehnten jedoch hat das Verständnis für Sucht als Krankheit und die Betonung der menschlichen Widerstandsfähigkeit diese Wahrnehmung verändert.
Insgesamt zeigt sich, dass in vielen Bereichen – von der Popkultur über die therapeutische Praxis bis hin zur Forschung – die Überwindung einer Sucht als heldenhafte Tat angesehen wird. Das Konzept des Helden der Genesung wird oft verwendet, um den Mut und die Stärke zu betonen, die es erfordert, sich einer Abhängigkeit zu stellen und ein neues Leben zu beginnen.
Der größte Mut von Menschen, die ihre Sucht überwunden haben, zeigt sich oft nicht nur darin, dass sie ihre eigene innere Dunkelheit und Abhängigkeit bekämpfen, sondern auch darin, dass sie sich gegen Vorurteile, Mythen und Stigmatisierung in der Gesellschaft stellen. Dieser Kampf gegen die soziale Isolation und Verurteilung kann fast genauso herausfordernd sein wie der Kampf gegen die Sucht selbst.
Vorurteile und Missverständnisse über Sucht haben jahrzehntelang dazu geführt, dass Suchterkrankungen nicht als Krankheiten anerkannt wurden, sondern eher als charakterliche Schwäche oder „moralisches Versagen“ wahrgenommen wurden. Auch heute noch gibt es weit verbreitete Mythen, wie etwa:
• „Sucht ist eine Entscheidung“ – Diese falsche Annahme ignoriert die genetischen, psychologischen und sozialen Faktoren, die zur Entstehung einer Sucht beitragen.
• „Wer süchtig ist, hat keinen Willen“ – Ein Mythos, der den schwierigen Prozess der Genesung völlig falsch darstellt.
• „Wer einmal süchtig war, wird es immer bleiben“ – Eine pessimistische Sichtweise, die die Erfolge und Fortschritte vieler Menschen ignoriert.
Solche Vorurteile führen zu einer erheblichen Stigmatisierung von Suchtkranken, was den Zugang zu Hilfe erschwert und Menschen oft in die Isolation drängt.
Für viele Menschen ist der erste Schritt in Richtung Hilfe nicht nur schwer, weil sie sich ihrer eigenen Sucht stellen müssen, sondern auch, weil sie sich mit den Erwartungen und Verurteilungen ihres Umfelds auseinandersetzen müssen.
• Im familiären Umfeld: Oft erleben Süchtige, dass selbst enge Angehörige nicht verstehen, dass es sich um eine Krankheit handelt. Der Druck, „einfach aufzuhören“ oder „sich zusammenzureißen“, kann dazu führen, dass viele sich schämen, Hilfe zu suchen.
• Unter Freunden: Viele haben Angst, als „Versager“ gesehen zu werden oder ihre Freunde zu verlieren, wenn sie ihre Sucht offenlegen. Das Stigma der Schwäche lastet schwer, und viele fürchten, dass sie anders behandelt werden, wenn ihr Problem bekannt wird.
• Am Arbeitsplatz: Die Sorge, als unreif, instabil oder unfähig angesehen zu werden, ist im beruflichen Umfeld besonders groß. Hier droht nicht nur das soziale Stigma, sondern auch berufliche Nachteile. Es braucht enormen Mut, sich zu öffnen und sich Hilfe zu suchen, besonders in einer Kultur, die oft Leistung und Stärke mit Abstinenz gleichsetzt.
• In der Gesellschaft: Auf einer breiteren Ebene müssen ehemalige Suchtkranke gegen eine Gesellschaft ankämpfen, die sie möglicherweise als „verloren“ oder „aussichtslos“ abstempelt. Wer die Sucht überwunden hat, wird oft nicht mit dem gleichen Respekt behandelt wie jemand, der nie süchtig war – obwohl ihre Leistung oft als weitaus mutiger und beeindruckender angesehen werden sollte.
Die Entscheidung, sich öffentlich zur eigenen Suchterkrankung zu bekennen, ist für viele Menschen ein Akt von bemerkenswerter, heldenhafter Tapferkeit. Sich zu öffnen, über die eigenen Rückschläge zu sprechen und vor anderen zuzugeben, dass man verletzlich ist, erfordert eine enorme innere Stärke. Diese Menschen gehen oft das Risiko ein, von der Gesellschaft verurteilt zu werden, tun es aber dennoch, weil sie wissen, dass ihre Geschichte anderen Mut machen kann.
Ein Beispiel hierfür sind Prominente wie Demi Lovato oder Robert Downey Jr., die offen über ihre Suchterkrankungen sprechen. Doch nicht nur Prominente, sondern auch Menschen aus allen Lebensbereichen, die öffentlich über ihre Sucht sprechen und sich für das Brechen von Tabus einsetzen, sind wahre Helden des Alltags.
2.4 Der Kampf gegen Mythen und Stigmatisierung als Heldentat
Der Mut, sich gegen gesellschaftliche Vorurteile zu stellen, hat weitreichende Auswirkungen:
• Es bricht den Kreislauf der Scham: Menschen, die offen über ihre Sucht sprechen, ermutigen andere, ebenfalls den Mut zu fassen, sich Hilfe zu suchen, ohne sich für ihre Krankheit zu schämen.
• Es trägt zur Aufklärung bei: Jeder, der sich gegen die Mythen stellt und die Wahrheit über Sucht verbreitet, hilft dabei, die Gesellschaft zu einem besseren Verständnis zu bringen.
• Es fördert eine neue Sichtweise: Indem Suchtkranke zeigen, dass sie nicht nur überleben, sondern ein erfolgreiches, erfülltes Leben führen können, setzen sie ein Beispiel, dass Sucht überwunden werden kann und dass es mehr ist als nur ein „Fehler“ oder eine „Schwäche“.
Der größte Mut zeigt sich, wie bereits dargestellt, darin, dass Menschen, die mit einer Sucht kämpfen, den Willen aufbringen, sich nicht nur ihrer eigenen inneren Kämpfe zu stellen, sondern auch der Stigmatisierung und den Mythen, die sie von der Gesellschaft auferlegt bekommen. Das Heldentum von Suchtkranken liegt nicht nur in ihrer persönlichen Heilung, sondern in ihrer Fähigkeit, sich trotz der Urteile der Gesellschaft für ein neues Leben zu entscheiden – und damit oft auch anderen zu helfen, denselben Weg zu gehen.
Das Projekt „Superhelden“ der Selbsthilfegruppe Saxum in Salo (saxuminsalo.com) ist eine Geschichte von Respekt, Ehrlichkeit und sehr viel Mut.
Vor drei Jahren erkannte ich für mich persönlich eine große Diskrepanz in unserer Gesellschaft: Die Anerkennung und der Respekt, den Menschen in einer Suchttherapie erfahren, stehen in starkem Gegensatz zu den Stigmatisierungen, Vorurteilen und Diffamierungen, die sie in der Gesellschaft erleben. Dieses zentrale Erlebnis wurde der Ausgangspunkt für ein einzigartiges Projekt, das ich „Superhelden“ nenne.
Ich bin Mitglied und Leiter der von mir gegründeten Selbsthilfegruppe für Alkoholsuchtkranke Saxum in Salo. Ich habe in meiner Therapie oft gehört, wie wichtig es ist, stolz auf das Erreichte zu sein. Therapeutinnen und Therapeuten betonen immer wieder, dass der Weg zur Abstinenz voller Herausforderungen und Stolpersteine ist, die viel Mut, Kraft und Durchhaltevermögen erfordern. Innerhalb der Therapiegruppen wird den Teilnehmern großer Respekt entgegengebracht. Doch diese Anerkennung endet oft an der Tür der Therapieräume.
Während der Therapie wird uns Suchtkranken stets gesagt, wie gut wir sind und wie stolz wir auf uns sein können. Doch außerhalb dieser geschützten Räume fehlt oft genau diese Anerkennung der Gesellschaft. Stattdessen begegnen uns Suchtkranken häufig Stigmata, pauschale Verurteilungen und völlig falsche Vorstellungen über unsere Krankheit.
Diese Diskrepanz wird zusätzlich durch die klinische und pathologische Sichtweise auf Alkoholabhängigkeit verschärft. Obwohl Alkoholsucht seit 1968 als psychische Erkrankung anerkannt ist, wird sie oft separat von anderen psychischen Erkrankungen betrachtet. Man spricht häufig von „psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen“, als ob diese nichts miteinander zu tun hätten. Ebenso verhält es sich beim Thema Drogen: Alkohol ist eine enorm gefährliche Droge, das ist Fakt. Dennoch wird in der Öffentlichkeit meist getrennt von Drogen über Alkohol gesprochen, als ob beides, ebenfalls nichts miteinander zu tun hätte.
Diese sprachliche und konzeptionelle Trennung führt zu gesellschaftlichen Verzerrungen: Alkoholabhängigkeit wird nicht nur als Krankheit, sondern auch (und vielleicht in erster Linie) als Verletzung gesellschaftlicher Normen wahrgenommen.
Bevölkerungsstudien zeigen deutlich, dass Suchtkranke von der Allgemeinbevölkerung viel stärker für ihre Erkrankung verantwortlich gemacht werden als Personen, die zum Beispiel an Schizophrenie oder Depression leiden. Der Alkoholkranke wird somit zum psychisch erkrankten zweiten Klasse etikettiert und einer Pauschalverurteilung durch die Gesellschaft überlassen.
Diese verzerrte öffentliche Wahrnehmung brachte mich 2022 auf den Gedanken, jenen Denk- und Verhaltensmustern unbedingt etwas entgegen setzen zu müssen. Das passte alles nicht zu dem Bild, das ich nicht nur von den Menschen meiner Gruppe hatte und habe. Die Teilnehmer meiner Gruppe sind mutig, willensstark, selbst reflektierend und beharrlich. Diese Menschen haben teils zutiefst bewegende Schicksale hinter sich gelassen und sich auf einen Weg gemacht, der ihnen enorm viel abverlangt. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich selbst mit der Historie einiger meiner Gruppenteilnehmer, derart konsequent und standhaft geblieben wäre. Trotzdem gibt es nichts, was sie zur Aufgabe ihrer „Mission“ treibt.
Diesen Menschen habe ich von meiner aufrichtigen Bewunderung erzählt und sie als Vorbilder bezeichnet. Ich sagte ihnen: „Ihr seid für mich die wahren, echten Heldinnen und Helden“.
Das Konzept hinter dem Projekt „Superhelden“ ist simpel und kraftvoll zugleich. Ich bat meine Mitstreiter im Herbst 2022, sich eine Superhelden-Identität auszudenken, die ihre Helden-Reise und ihre einzigartige Stärke (Superkraft) symbolisiert. Mit Hilfe von KI-Software erstellte ich schnell beeindruckende Bilder „meiner“ Superhelden. Diese Bilder, die zunächst nur innerhalb meiner Selbsthilfegruppe verteilt wurden, bestätigten die Gruppenteilnehmer in ihrem Tun und gab ihnen ein greifbares Symbol der Anerkennung für ihren Erfolg.
Das Feedback zu den KI-Bildern war außerordentlich positiv. Das war etwas, das man seiner Familie, seinen Freunden und Kollegen zeigen konnte, um zu „beweisen“, dass man sich auf einer ganz besonderen (Helden-) Reise befindet.
In meiner Gruppe haben wir viel über die Bilder und deren Wirkung gesprochen. Ich diskutierte mit meiner Gruppe, ob wir vielleicht noch einen großen Schritt weiter gehen wollen: Nach Draußen, in die Öffentlichkeit. Ich habe der Gruppe vorgeschlagen die KI-generierten Bilder in der realen Welt umzusetzen, mit echten Fotografen und uns als Models. Ich dachte daran, diese Fotos in einer Ausstellung zu zeigen und so die Gesellschaft mit unseren Geschichten zu konfrontieren. Das gibt den Betrachtern die Gelegenheit, bestimmte Dinge neu zu überdenken. Oder es sind Besucher:innen dabei, die sich durch unseren eingeschlagenen Weg inspirieren und Mut machen lassen, für ihr eigenes Outing.
Der Vorschlag wurde von den meisten Gruppenmitgliedern begeistert aufgenommen. Sie haben von „Befreiung“ und „längst verdientem Respekt“ gesprochen.
Während eines Gruppenleitertreffens der Selbsthilfegruppen der Caritas und des Kreuzbunds habe ich das Foto-Projekt „Superhelden“ im Frühjahr 2024 vorgestellt. Gastgeber und Organisator dieser Treffen ist die Fachambulanz für Suchterkrankungen der Caritas Ebersberg in Grafing bei München.
Nach der Vorstellung habe ich von der Leitung der Fachambulanz und den Teilnehmern des Treffens positives Feedback bekommen. Mitglieder des Kreuzbunds haben spontan ihre Teilnahme zugesagt.
Als das Projekt begann, stand ein weiteres Thema, eine weitere Mission im Raum: Wir räumen auch auf mit den verkrusteten und hartnäckigen Mythen und Vorurteilen, die beim Gedanken an eine Therapie oder eine Selbsthilfegruppe noch immer fest in den Köpfen vieler Menschen verankert ist. Unsere Initiative wird das Thema kräftig enststauben und nachhaltig ins rechte bzw. richtige Licht setzen.
Am 01 Juli 2025 wird die Idee Realität. In den Räumen der Caritas in Grafing bei München, wird die Ausstellung „Superhelden“ eröffnet. Die professionell fotografierten Bilder zeigen die Heldenreise der Mitglieder der Selbsthilfegruppe und fordern die Besucher auf, ihre möglichen Vorurteile und Stigmatisierungen zu überdenken.
„Wir haben uns gegen Stigmata behauptet, gegen Vorurteile und Fehlinformationen durchgesetzt“, erkläre ich dazu gerne. „Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr haben wir an uns gearbeitet. Wir wollen zeigen, dass wir stolz auf das sind, was wir erreicht haben. Wir haben teils übermenschliches geleistet, und manche von uns sind sogar mehr als Helden- sie sind Superhelden.“
Die Ausstellung lädt die Gesellschaft ein, diese Menschen als die Superhelden zu sehen, die sie sind. Mit Herz, Humor und einer gewaltigen Energie zeigen sie, dass sie mehr sind als ihre Krankheit – sie sind Individuen mit Zielen, die trotz aller Widrigkeiten ihren Weg gehen.
Die Teilnehmer des Helden – Fotoshootings kleiden sich mit Bordmitteln, um in ihren aus gewählten Requisiten an einen Helden/Superhelden zu erinnern. Dabei greifen sie auf Kleidung von Flohmärkten aus eigenem Keller von Bekannten, oder Second Hand Läden zurück. Zu sehr klischeehafte Verkleidung, die zu sehr an Filmhelden erinnert (Batman oder ein Superman) soll vermieden werden. Wir verkörpern Helden des Alltags, die eigentlich nicht als solche gleich erkannt und wahrgenommen werden.
Die Fotos selbst sollen die Teilnehmer sichtlich auf ein neues, eigenes Level heben. Die Bilder sind gedacht als Symbol und Anerkennung für die bis heute geleisteten Erfolge. Sie vermitteln Respekt für den langen Weg, den sie hinter sich gebracht haben und Anerkennung für die Dinge, die sich abgerungen und geopfert haben, um den Weg der Abstinenz einschlagen zu können.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas sollen die Bilder auch Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein ausstrahlen für diesen Moment, da ihr Erfolg mit einem Foto verewigt wird. Darüber hinaus soll auch eine gewisse Erleichterung spürbar sein, dass man den Weg eingeschlagen hat und jetzt in der Lage ist, den Erfolg nach außen hin zu teilen.
Am 1. Juli wird die Ausstellung mit einem Rahmenprogramm eröffnet. Das Rahmenprogramm sieht vor, dass Vertreter von Unternehmen, Institutionen und Politik sowie interessierte Menschen an der Eröffnung teilnehmen.
Die Größe und Gebäudestruktur der Fachambulanz für Suchterkrankungen in Grafing bei München erlaubt es, dass ein großer Besprechungsraum im Erdgeschoss als „Zentrum“ der Rahmenprogrammfeierlichkeiten verwendet werden kann. Hier findet sich dann auch Platz für Aufklärung und Informationsvermittlung. Der Charakter dieses Zentrums soll Hausmesse – Charakter haben.
Im Treppenhaus des Erdgeschosses beginnt eine Reise mit dem Ausgangspunkt der Suchterkrankung in Form von Aufklärung, Informationsvermittlung und Motivation. Sukzessive setzt sich die Reise über die nächsten beiden Stockwerke fort. Im zweiten Stock vor der Fachambulanz, wo die Heldenhalle oder Ruhmeshalle für die Helden ihren Platz finden wird, zeigt sich der ganze Stolz und die Freude der Helden, es bis zu diesem Tag geschafft zu haben. Es wird auch deutlich, wie beschwerlich, aber auch gleichermaßen lohnenswert diese Reise ist.
Die Bilder werden in Großformat aufgehängt, voraussichtlich im Maß von einer Höhe von 1,20 m auf 1 m. Die Qualität der Fotos ist hochwertig geplant. Hier soll Digitaldruck in hoher Qualität zum Einsatz kommen.
Sollte sich der Hausmesse Charakter im Erdgeschoss als erfolgreich erweisen, wird man diesen Teil 2–4-mal im Jahr, als so genannten Kompetenzraum Sucht stattfinden lassen. Damit hätte man das Thema Suchterkrankung mit einem Anlaufpunkt und Austausch. Institutionalisiert. Im Landkreis Ebersberg wäre dann dies die erste ständige Kompetenzmesse zum Thema Sucht. Derzeit wird noch darüber nachgedacht, ob mit dem Thema Sucht und die Verwandtschaft zu psychischen Störungen und Erkrankungen dazu genutzt werden soll, um hier eine Brücke zu zum Thema Komorbidität zu bauen. Im Detail bedeutet das, dass entweder bereits mit einigen der Fotos oder spätestens mit der Hausmesse das Thema Komorbidität mit ins Zentrum gerückt wird.
Doppeldiagnosen von Suchterkrankung und psychischen Störungen, werden bisher noch nicht ganzheitlich erfasst und therapiert. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung werden diese Themen getrennt voneinander behandelt und diskutiert – mit fatalen Folgen für die Betroffenen.
„Kommt und seht uns an“, fordert Stefan sein Umfeld auf. „Akzeptiert, dass wir gut sind, und zeigt uns euren Respekt. Freut euch mit uns und geht mit uns auf eine gemeinsame Reise.“
Die Ausstellung „Superhelden“ läuft vom 1. bis 30. Juli 2025 in den Caritas-Räumen in Grafing. Es ist eine inspirierende Reise durch die Welt der Suchterkrankung und eine Feier der Stärke und des Mutes, die es braucht, um diesen Weg einzuschlagen und den Kampf endlich zu gewinnen.
Seid dabei und lasst uns gemeinsam das Thema Suchterkrankung neu definieren.
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