„Respect vs Stigma – Superheld*innen“ Wissenschaftlicher Exkurs

      Von Sprachleitfäden zu Verstehen und Empowerment

      „Respect vs Stigma – Superheld*innen“ als dual wirkende Anti-Stigma-Intervention im Suchtbereich.

      Copyright: Stefan G. Friedlein 2025

      Abstract

      In der Sucht- und Psychiatrieversorgung werden seit einigen Jahren verstärkt Sprachleitfäden und Empfehlungen für „stigmaarme“ oder „stigmafreie“ Kommunikation eingesetzt. Empirische Befunde zeigen, dass stigmatisierende Labels wie „Süchtige:r“, „Abuser“ oder „Alkoholiker:in“ Einstellungen, Schuldzuschreibungen und Behandlungspräferenzen negativ beeinflussen, während personen-zuerst-Sprache (z. B. „Person mit einer Alkoholabhängigkeit“) mit geringerer Stigmatisierung einhergeht. Gleichwohl stoßen normative Sprachvorgaben in der Allgemeinbevölkerung zunehmend auf Abwehr und „Sprachermüdung“.

      Der Beitrag argumentiert, dass Sprache nicht der primäre Hebel, sondern eine abhängige Variable eines vorgelagerten Prozesses aus Verstehen und Haltungsveränderung ist. Auf Basis von Stigmaforschung, Kontakt-Hypothese und narrativer Gesundheitskommunikation wird ein Kaskadenmodell vorgeschlagen: Narrativer Kontakt mit Menschen in Recovery führt zu vertieftem kognitiv-emotionalem Verstehen, dieses zu veränderten Haltungen – und daraus resultiert ein veränderter Sprachgebrauch.

      Am Beispiel der Initiative „Respect vs Stigma – Superheld*innen“ wird ein prototypisches Format beschrieben, das diese Mechanismen systematisch nutzt. Die Ausstellung kombiniert großformatige Portraitfotografien, biografische Genesungsgeschichten und moderierte Reflexionsangebote. Konzeptionell wird sie als dual wirkende Intervention gefasst: (1) nach außen als Anti-Stigma-Maßnahme durch Verstehen, Kontakt und Sprachreflexion; (2) nach innen als Empowerment- und Recovery-Intervention für die porträtierten Personen, in Anlehnung an Photovoice- und partizipative Kunstansätze.

      Ein wichtiger struktureller Aspekt des Projekts ist die Ausgestaltung als Wanderausstellung: Die Initiative wird in unterschiedlichen Regionen gezeigt, wobei an jedem Standort weitere Menschen mit eigener Suchtgeschichte hinzukommen, die sich porträtieren lassen und ihre Geschichte beitragen. Dadurch erweitern sich sowohl die Reichweite der Anti-Stigma-Komponente als auch die Zahl derjenigen, die von der Empowerment-Wirkung profitieren. Abschließend werden eine Evaluationsagenda mit zwei Modulen (Öffentlichkeit und Porträtierte) sowie Implikationen für Praxis und Gesundheitspolitik skizziert.

      1. Einleitung
        Stigma gegenüber Menschen mit Suchterkrankungen ist mit gravierenden individuellen und gesellschaftlichen Folgen verbunden. Betroffene suchen vielfach spät oder gar keine Hilfe auf, brechen Behandlungen häufiger ab und erleben Diskriminierung im Gesundheitswesen, im Arbeitsleben und im sozialen Umfeld. Stigma wirkt zudem als Barriere für Prävention, Frühintervention und Rehabilitation.

        Sprache spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle. Fachgesellschaften, Behörden und Hilfesysteme haben reagiert und Leitfäden für „nicht-stigmatisierende“ oder „personen-zuerst“-Sprache entwickelt. Empfohlen wird etwa, auf Begriffe wie „Alkoholiker“, „Säufer“ oder „Drogensüchtige:r“ zu verzichten und stattdessen von „Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit“ oder „Menschen mit Suchterfahrung“ zu sprechen.

        Gleichzeitig ist eine wachsende Skepsis gegenüber wahrgenommenen „Sprachvorschriften“ festzustellen. Teile der Bevölkerung – und durchaus auch Fachkräfte – reagieren mit Abwehr auf den Eindruck, es gebe ständig neue Regeln, was man „noch sagen darf“. Anliegen der Stigma-Reduktion werden dann nicht selten vorschnell als Ausdruck „woker Sprachpolizei“ abgewertet.

        Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Fokus von Anti-Stigma-Strategien zu einseitig auf der Oberfläche der Sprache liegt. Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, Sprache als Ergebnis tiefer liegender Prozesse zu verstehen und den Blick stärker auf Verstehen, Kontakt und Beteiligung zu richten. Am Beispiel der Initiative „Respect vs Stigma – Superheld*innen“ wird ein Modell skizziert, das Anti-Stigma-Arbeit mit Empowerment-Prozessen der Beteiligten verbindet und in Form einer Wanderausstellung regional verankert und skaliert werden kann.

        Den gesamten Aufsatz hier lesen/herunterladen

      Stefan Friedlein
      Author: Stefan Friedlein

      Mein Spitzname: Mr.Brain. Ich bin der Gründer der Selbsthilfegruppe Saxuminsalo (Fels in der Brandung). Wieso der Spitzname Mr. Brain? In Anlehnung an den inneren Antrieb von Tsukumo Ryusuke, einer japanischen Filmfigur. So wie Tsukumo Ryusuke, habe ich meine ganz eigenen Sicht auf die Welt und die Menschen um mich herum und nehme "skandalöse" Themen in Angriff, für die vielen Menschen der Mut, die Rafinesse oder/und die Courage fehlt. In meinem Fall: Respekt und Gerechtigkeit für psychisch erkrankte Menschen, speziell für Suchtkranke und Suchtkranke mit zusätzlichen affektiven Störungen (Komorbidität).

      Stefan Friedlein
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