Warum abstinente Alkoholkranke oft die besten Mitarbeitenden sind – und warum Firmen das endlich erkennen müssen

      Viele Unternehmen fordern Mut von suchtkranken Menschen – zum Outing, zur Therapie, zur Veränderung. Aber wo bleibt der Mut der Unternehmen, diese Veränderung auch anzuerkennen? Ein Artikel über verkanntes Potenzial, echte Inklusion und gesellschaftliche Verantwortung.

      Verkanntes Potenzial

      Warum abstinente Alkoholkranke oft die besten Mitarbeitenden sind – und warum Firmen das endlich erkennen müssen. Ein Beitrag von Stefan Friedlein

      1. Das paradoxe Schweigen

      Inklusion, Diversität, Gesundheitsförderung – viele Unternehmen schreiben sich diese Werte groß auf die Fahne. Doch wenn es um ehemalige Suchtkranke geht, wird es still. Menschen, die eine Alkoholerkrankung überwunden haben und heute abstinent leben, werden in der Arbeitswelt häufig übersehen – oder schlimmer: als Risiko betrachtet.

      Was vielen Unternehmen entgeht: Wer eine Suchterkrankung bewältigt hat und dauerhaft abstinent lebt, bringt oft überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft, Disziplin, Reflexionsfähigkeit und emotionale Stärke mit. Dass dieses Potenzial so oft übersehen wird, ist nicht nur ein ethisches, sondern auch ein wirtschaftliches Versäumnis.

      2. Fakten statt Vorurteile

      Menschen, die nach einer erfolgreichen Therapie dauerhaft abstinent leben, gehören zu einer Personengruppe mit beeindruckender Resilienz. Sie haben gelernt, sich selbst zu beobachten, mit Krisen umzugehen und Verantwortung zu übernehmen – Fähigkeiten, die in modernen Arbeitsumgebungen gefragt sind wie nie zuvor.

      Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHGS) zeigen viele ehemalige Alkoholabhängige nach der Therapie:

      • Hohe Eigenmotivation und Leistungsbereitschaft

      • Starkes Verantwortungsbewusstsein

      • Ausgeprägte Selbstdisziplin und Verlässlichkeit

      • Lern- und Veränderungsbereitschaft


      Auch Fachstellen zur beruflichen Wiedereingliederung berichten von sehr positiven Entwicklungen – wenn der Arbeitsplatz stimmt.

      Dauerhaft abstinente Suchtkranke haben gelernt, sich selbst zu beobachten, mit Krisen umzugehen und Verantwortung zu übernehmen – Fähigkeiten, die in modernen Arbeitsumgebungen gefragt sind wie nie zuvor.“

      3. Stimmen aus der Praxis

      Viele Betroffene erleben nach ihrer Therapie ein neues Verhältnis zur Arbeit: Sie empfinden sie nicht mehr als bloße Pflichterfüllung, sondern als sinnstiftenden, stabilisierenden Bestandteil ihres Lebens.

      „Ich war nie so zuverlässig und strukturiert wie heute. Meine Abstinenz hat mir nicht nur das Leben, sondern auch meine Arbeitsfähigkeit zurückgegeben.“ – Ehemaliger Rehabilitand

      Auch Arbeitgeber berichten positiv:

      „Ich wusste erst gar nicht, was auf mich zukommt. Aber meine Mitarbeiterin ist inzwischen diejenige, auf die ich mich am meisten verlassen kann. Offenheit, Klarheit, kein Ausweichen – das tut dem ganzen Team gut.“

      4. Die unsichtbare Mahnung

      Während psychische Erkrankungen wie Depression oder Burnout zunehmend entstigmatisiert sind, gilt Sucht nach wie vor als „heikles Thema“. Die Angst vor Rückfällen, Vorurteile über Belastbarkeit und Unsicherheit im Umgang tragen dazu bei, dass viele Personalverantwortliche lieber wegsehen.

      Fachstellen wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen mahnen seit Jahren an, dass Unternehmen hier Chancen vergeben:

      „Viele Menschen mit Suchterfahrung werden systematisch übersehen. Dabei könnten sie mit der richtigen Unterstützung zu Leistungsträgern werden.“

      Doch diese Stimmen dringen selten bis in die HR-Fachpresse oder in Diversity-Strategien vor.

       

      „Mit der richtigen Unterstützung werden abstinente Suchtkramke zu wichtigen Leistungsträgern .“

      5. Wenn Inklusion Lücken lässt

      Der Widerspruch ist offenkundig: Einerseits feiern viele Unternehmen ihre Diversität. Andererseits bleibt eine Gruppe außen vor: Menschen mit überwundener Suchterkrankung.

      Dabei wäre genau hier Haltung gefragt. Ein Unternehmen, das ehemalige Suchtkranke beschäftigt und aktiv unterstützt, sendet ein starkes Signal: Veränderung ist möglich. Entwicklung ist willkommen. Vertrauen ist Teil der Unternehmenskultur.

      Und es profitiert – durch loyale, belastbare und reflektierte Mitarbeitende.

      6. Was jetzt gebraucht wird

      Was abstinent lebende Menschen mit Suchtbiografie brauchen, ist eine faire Chance – und eine Unternehmenskultur, die sich nicht an alten Vorurteilen orientiert.

      Fünf einfache Schritte für Unternehmen:

      • Sensibilisierung in HR und Führungsetagen

      • Ansprechpartner für psychosoziale Themen sichtbar benennen

      • Mut zur offenen Kommunikation fördern

      • Sucht nicht als Tabu, sondern als Teil von Diversity verstehen

      • Erfolge sichtbar machen – auch die der „zweiten Chancen“

       

      „Was abstinent lebende Menschen mit Suchtbiografie brauchen, ist eine Unternehmenskultur, die sich nicht an alten Vorurteilen orientiert.“

      7. Genesung ist eine Ressource

      Ein Mensch, der seine Abhängigkeit überwunden hat und heute abstinent lebt, hat mehr geleistet als viele je leisten mussten. Er hat sich mit sich selbst auseinandergesetzt, Verhaltensmuster verändert, Verantwortung übernommen – Tag für Tag.

      Es ist an der Zeit, dieses Potenzial zu sehen – nicht als Makel, sondern als Zeichen von Stärke, Reife und Lernfähigkeit.

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      Stefan Friedlein
      Author: Stefan Friedlein

      Mein Spitzname: Mr.Brain. Ich bin der Gründer der Selbsthilfegruppe Saxuminsalo (Fels in der Brandung). Wieso der Spitzname Mr. Brain? In Anlehnung an den inneren Antrieb von Tsukumo Ryusuke, einer japanischen Filmfigur. So wie Tsukumo Ryusuke, habe ich meine ganz eigenen Sicht auf die Welt und die Menschen um mich herum und nehme "skandalöse" Themen in Angriff, für die vielen Menschen der Mut, die Rafinesse oder/und die Courage fehlt. In meinem Fall: Respekt und Gerechtigkeit für psychisch erkrankte Menschen, speziell für Suchtkranke und Suchtkranke mit zusätzlichen affektiven Störungen (Komorbidität).

      Stefan Friedlein
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