Anti Stigma

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      Entstigmatisierung

      Jede Minute erkranken unzählige Menschen an den unterschiedlichsten Krankheiten. Menschen mit einer Suchterkrankung sind davon diejenigen, die von der Gesellschaft nahezu reflexartig auf ihre Krankheit reduziert und öffentlich entwertet werden. Eine Suchterkrankung wird häufig als Folge einer dafür „typischen Charakterschwäche“ ausgelegt und als selbstverschuldet betrachtet.

      In Ländern wie Niederlande, Portugal, Schweiz, Frankreich, den skandinavischen Ländern, USA und Großbritannien ist der öffentliche Diskurs darüber deutlich weiter fortgeschritten, besonders bei der Darstellung von Sucht als behandelbare Erkrankung und nicht als moralisches Versagen.

      Wir wollen mit Klischees und Vorurteilen aufräumen und fordern anhand unseres Beispiels zum Überdenken veralteter Sichtweisen und Denkmuster auf. Wir zeigen auf, welche vielfältigen Werte, Potenziale und Synergien der Gesellschaft durch Ausgrenzung entgehen. Gerade Unternehmen tun sich hierzulande mit Suchtkranken besonders schwer, auch wenn diese nachweislich bereits über Jahre abstinent leben. Dadurch entgeht besonders Unternehmen wertvolles Potenzial.

      • Denkanstoß für Politik und Wirtschaft

      In Bezug auf die Integration von Suchtkranken in den Arbeitsmarkt und bei der Schaffung flexibler Arbeitsmodelle, sind bereits seit Jahrzehnten andere Länder in Europa führend:

      • Portugal: Portugal ist bekannt für seine fortschrittliche Drogenpolitik, die 2001 alle Drogen entkriminalisierte und den Schwerpunkt auf Rehabilitation legte. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Reform ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, einschließlich des Arbeitsmarkts. Programme zur beruflichen Unterstützung und Schulung helfen Suchtkranken dabei, wieder Arbeit zu finden. Außerdem fördert das Land aktiv den Abbau von Stigmata, was den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtert​
      • Schweiz: Die Schweiz ist ein Vorreiter in der Schadensminderung, mit Initiativen wie überwachten Drogenkonsumräumen und heroinassistierter Therapie. Diese Maßnahmen stabilisieren die Betroffenen gesundheitlich und sozial, sodass sie leichter in den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Das Land setzt auf eine enge Verzahnung von medizinischen, sozialen und beruflichen Unterstützungsangeboten, um eine nachhaltige Wiedereingliederung zu fördern​
      • Frankreich: Frankreich verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz bei der Suchtbehandlung, indem es ein Netzwerk von Schadensminderungszentren bereitstellt, die neben medizinischer und psychologischer Unterstützung auch Hilfe bei der Arbeitssuche bieten. Dieses unterstützende Umfeld hilft den Menschen, den Anschluss an das Arbeitsleben wiederzufinden, während sie ihre Sucht überwinden​.​
      • Die Niederlande gelten als besonders innovativ bei der Schaffung von Arbeitszeitmodellen und Rehabilitationsmöglichkeiten für Alkohol- und Suchtkranke. Das Land hat eine offene und progressive Einstellung zu Sucht und Drogen, und dieser Ansatz spiegelt sich auch in der Art wider, wie Arbeitsplätze mit Suchtkrankheiten umgehen. Abhängigkeit wird als Krankheit betrachtet, und das niederländische Gesundheitssystem unterstützt Betroffene, indem es ihnen Zugang zu Reha und entsprechenden Arbeitszeitregelungen bietet. Arbeitnehmer können zum Beispiel Krankheitsurlaub nehmen, um eine Reha zu absolvieren, und es gibt spezielle Unterstützungsprogramme, die von den Firmenärzten (Bedrijfsartsen) vertraulich behandelt werden, um ihre Rückkehr in den Arbeitsalltag zu erleichtern. Der Fokus liegt auf einer flexiblen und respektvollen Integration, um Stigmatisierung zu minimieren.

        Die Niederlande bieten zudem innovative Programme an, die es Menschen ermöglichen, ihre Sucht im Kontext von Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeiten zu bewältigen, ohne dass ihre Karriere darunter leidet. Dies ist Teil eines breiteren gesellschaftlichen Trends, in dem Sucht als chronische Krankheit betrachtet und umfassend unterstützt wird.

      In Deutschland ist der Umgang mit Suchtkranken in der Arbeitswelt oft konservativer und von stärkerer Stigmatisierung geprägt als in den Niederlanden. Es gibt einige wesentliche Unterschiede, die dies erklären:

      • Stigma und öffentliche Wahrnehmung: In Deutschland wird Sucht oft als moralisches oder persönliches Versagen gesehen, während in den Niederlanden Sucht eher als chronische Krankheit anerkannt wird. Diese unterschiedliche Wahrnehmung beeinflusst die Art und Weise, wie Arbeitgeber und das Gesundheitssystem mit Suchtkranken umgehen. Während in den Niederlanden eine Offenheit für flexible Arbeitszeitmodelle und Wiedereingliederungsprogramme herrscht, haben viele deutsche Arbeitgeber nach wie vor Vorbehalte gegenüber Suchtkranken​
      • Rechtliche Rahmenbedingungen: In den Niederlanden gibt es klare Regelungen, die Sucht als Krankheit behandeln und die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben unterstützen. Arbeitnehmer können sich krankmelden und müssen ihrem Arbeitgeber nicht die Details ihrer Sucht offenlegen. Das deutsche Arbeitsrecht bietet zwar auch Schutz, aber der Umgang mit Suchtkranken am Arbeitsplatz ist oft weniger strukturiert und flexibel. Es gibt weniger umfassende Programme zur beruflichen Wiedereingliederung, was die Integration erschwert.
      • Infrastruktur für Rehabilitationsprogramme: Die Niederlande haben ein breiteres Netzwerk von Rehabilitationszentren, die eng mit Arbeitgebern zusammenarbeiten, um flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. In Deutschland gibt es zwar ebenfalls Rehabilitationsprogramme, doch die Verbindung zwischen diesen Programmen und der Arbeitswelt ist oft schwächer. Deutsche Rehabilitationsmaßnahmen konzentrieren sich mehr auf die medizinische Seite der Suchtbehandlung und weniger auf die berufliche Wiedereingliederung​.

      ​Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Niederlande durch ihre progressiven Gesetze und ihre gesellschaftliche Akzeptanz von Suchtkranken ein Vorreiter in der Arbeitsmarktintegration sind, während Deutschland noch mit stärkeren Vorurteilen und einer weniger flexiblen Arbeitskultur zu kämpfen hat.

      Ein grobes Ranking europäischer Länder, basierend auf ihrer Herangehensweise an die Integration von Suchtkranken in den Arbeitsmarkt und die Schaffung flexibler Arbeitszeitmodelle, ergibt sich daraus wie folgt:

      • Niederlande: Die Niederlande sind bekannt für ihre progressive Haltung gegenüber Sucht und deren Integration in die Arbeitswelt. Sie bieten flexible Arbeitszeitmodelle und gut strukturierte Programme, die es Menschen ermöglichen, während der Rehabilitation im Arbeitsleben zu bleiben. Sucht wird als Krankheit betrachtet, und es gibt umfassende Regelungen, die Arbeitnehmer schützen​.
      • Portugal: Portugal hat durch die Entkriminalisierung von Drogen und den Fokus auf Rehabilitation große Fortschritte gemacht. Es gibt Programme zur beruflichen Wiedereingliederung und Unterstützung bei der sozialen Integration von Suchtkranken​
      • Schweiz: Die Schweiz hat ebenfalls ein gut entwickeltes Netzwerk zur Schadensminderung und Rehabilitationsprogramme, die eng mit Arbeitsplätzen verbunden sind. Menschen in der Erholungsphase von einer Suchterkrankung erhalten Unterstützung bei der Wiedereingliederung​
      • Skandinavische Länder (Schweden, Dänemark, Norwegen): Diese Länder sind für ihre umfassenden Sozialhilfesysteme bekannt, die Sucht als gesundheitliches Problem anerkennen. Sie bieten flexible Arbeitsmodelle und staatlich unterstützte Programme zur Wiedereingliederung an, insbesondere für Langzeitpatienten​
      • Frankreich: Frankreich bietet zahlreiche Rehabilitationszentren, die auch berufliche Unterstützung bieten. Es gibt jedoch weniger systematische Verknüpfungen zwischen den Rehabilitationsprogrammen und der Arbeitswelt, was die Wiedereingliederung im Vergleich zu Ländern wie den Niederlanden etwas erschwert​
      • Deutschland: Deutschland hat solide Rehabilitationsprogramme, hinkt aber bei der Integration von Suchtkranken in den Arbeitsmarkt hinterher. Es fehlt an flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer starken Verbindung zwischen Therapie und beruflicher Wiedereingliederung​

      Dieses Ranking basiert auf der Kombination von gesetzlichen Rahmenbedingungen, der gesellschaftlichen Akzeptanz von Sucht als Krankheit und den Maßnahmen zur Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung. Die genannten Länder haben unterschiedliche Ansätze, wobei Länder wie die Niederlande und Portugal als besonders fortschrittlich gelten.